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From:  "Angus B. Grieve-Smith"
Date:  Fri Jan 21, 2000  1:46 am
Subject:  Re: Article In Der Spiegel in Germany....


On Thu, 20 Jan 2000, Valerie Sutton wrote:

> I understand that an article in "Der Spiegel", the German newspaper,
> was just published about the Nicaraguan Sign Language Projects.
> Apparently SignWriting was mentioned and illustrated.
>
> It is in Der Spiegel Issue Number 317-1-2000.

I found the article on the web; here it is. I would append a
translation, but Altavista would only translate so much of it, so I gave
up.

-Angus B. Grieve-Smith
Linguistics Department
The University of New Mexico


<https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,59908,00.html>

DER SPIEGEL 3/2000

S P R A C H W I S S E N S C H A F T
Linguistischer Urknall
Erstmals wurden Forscher Zeugen einer Sprachgeburt: Taubstumme Kinder
in Nicaragua entwickelten ein völlig neues, komplexes System von
Gebärden. Daran wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob ins Hirn
jedes Menschen die Regeln einer Universalgrammatik eingebaut sind.

Paula Mercedes, Hauswirtschaftslehrerin in Managua, verzweifelte an
ihrem Bildungsauftrag: Sie verstand ihre Schüler nicht. Die 50
Zöglinge in der Gewerbeschule für Gehörlose gestikulierten seltsam mit
den Händen, ruderten mit den Armen und schnitten rätselhafte
Grimassen.

Zwar hatten die nicaraguanischen Pädagogen seit Jahren versucht,
taubstumme Kinder zu lehren, Spanisch mit Fingern zu buchstabieren.
Doch deren eigenartige Handzeichen waren davon weit entfernt. Woher
aber kamen die Gesten dann?

Das Bildungsministerium bat schließlich Judy Kegl um Rat, eine auf
Zeichensprachen spezialisierte Wissenschaftlerin, die heute im
US-Bundesstaat Maine lehrt. "Ich erwartete, in Nicaragua eine der
bekannten Gebärdensprachen vorzufinden. Ich fand nichts davon."
Stattdessen entdeckte die Forscherin eine linguistische Sensation:
"Die Kinder hatten eigenhändig eine ganz neue Sprache kreiert."

Seit Jahrtausenden träumt die Menschheit davon, ein Idiom isoliert
entstehen zu sehen um zu erfahren, ob dem Menschen Sprache angeboren
ist, und wenn ja, welche. Deshalb überließ der ägyptische König
Psammetich I. einem Ziegenhirten zwei Babys und erteilte ihm striktes
Redeverbot. Die Legende will, dass die Kinder zuerst "bek, bek"
brabbelten, eine dem phrygischen Wort für "Brot" verwandte Silbe.
Nüchterne Forscher der Gegenwart halten dies jedoch eher für ein
Imitat des Ziegenmeckerns im Stall. Der Stauferkaiser Friedrich II.
unternahm einen ähnlichen Versuch die Probanden starben.

In Nicaragua dagegen sehen Linguisten die natürliche Geburt einer
Sprache. "Es ist ein linguistischer Urknall", erklärt Ann Senghas,
Linguistin am Barnard College in New York. "Wir können jetzt
studieren, wie ein Sprachuniversum entsteht."

Den Stein ins Rollen brachten die Sandinisten, als sie dem Land nach
der Revolution 1979 eine Bildungsreform verordneten. Jedermann sollte
Lesen und Schreiben lernen Gehörlose eingeschlossen. Beraten von
einer russischen Linguistin, wollten die Erzieher den Taubstummen
beibringen, mit den Händen zu buchstabieren und Spanisch von den
Lippen zu lesen. Doch alle Anstrengungen liefen ins Leere; die Methode
war an der gesprochenen Sprache orientiert, die den Schülern
naturgemäß fremd war.

Stattdessen halfen sich die Kinder selbst: Viele von ihnen begegneten
erstmals ihresgleichen. Sie alle waren gewohnt, in ihren Familien mit
Hilfe simpler Handzeichen zu kommunizieren. Rasch verwandelte sich
diese Behelfsbrücke zur hörenden Welt in die Lingua franca der
taubstummen Gruppe, inzwischen "Lenguaje de Signos Nicaragüense"
genannt.

So unbeholfen die Kinder anfangs radebrechten, bald einigten sie sich
auf erste Standardzeichen: Ein flacher, horizontal geführter
Handteller etwa bezeichnete ein Fahrzeug, Fidel Castro wurde durch
eine dozierende Hand und zwei für die Zigarre gespreizte Finger
symbolisiert.

Beharrlich ignorierten die Hörenden das vor ihren Augen entstehende
Wunderwerk. Die Lehrer verbannten es anfangs sogar aus dem Unterricht.
Die Schüler verfeinerten unterdessen ihre Sprache auf dem
Basketballplatz, im Schulbus oder auf Partys.

Die ungewöhnlichen Umstände dieser Sprachgeburt machen es möglich,
alte, doch nie bewiesene Annahmen über den Spracherwerb zu testen
womöglich sogar das zentrale Rätsel der Linguistik zu knacken: die
Frage, ob dem Menschen eine Universalgrammatik angeboren ist.

Diese These setzte 1957 Noam Chomsky in die Welt, einer der
meistzitierten Forscher aller Zeiten. Ihn hatte die Fähigkeit von
Kleinkindern verblüfft, binnen weniger Jahre eine komplexe Sprache
korrekt zu erlernen. Schon im dritten Lebensjahr plappern sie meist
fehlerfrei und komponieren Sätze, die sie so nie gehört haben können.
Alle menschlichen Sprachen weisen zudem strukturelle Gemeinsamkeiten
auf für Chomsky ein Beleg dafür, dass schon bei der Geburt eine Art
Urgrammatik im Gehirn verdrahtet ist.

"Wenn ein Marsianer auf unsere Erde blickte, sähe er alle Menschen nur
eine Sprache sprechen in tausenden von Dialekten", lässt Chomsky aus
seinem Büro am Massachusetts Institute of Technology in Boston wissen.

Viele Wissenschaftler bezweifeln das. Chomskys Kritiker vergleichen
das Gehirn vielmehr mit einem besonders lernfähigen Computer. Wenn die
Umwelt Babys mit sprachlichen Informationen füttert, erkenne das Hirn,
ohne viele Vorgaben, rasch Regelmäßigkeiten im Datenstrom.

An der University of Rochester stellten Forscher 1996 fest, dass acht
Monate alte Säuglinge in einem monotonen Silbenstrom mehrmals
auftauchende Wörter bereits sicher wieder erkennen. Und künstliche
neuronale Netze kann man drillen, grammatische Regeln zu lernen.

In einem klassischen Experiment ließen zwei US-Psychologen einen
Rechner Vergangenheitsformen von Verben büffeln. Anfangs unterliefen
dem Computer, wie Kindern auch, Fehler bei unregelmäßigen Verben
statt "sah" sagte er "sehte". Beharrlich korrigiert, meisterte die
Maschine nach einiger Zeit jedoch auch diese Hürde.

Über die Existenz einer Universalgrammatik sagen all diese Befunde
jedoch wenig aus. Nun aber sehen sich Chomskys Jünger bestätigt: Die
taubstumme Gemeinschaft von Managua hat ihre Sprache praktisch ohne
Einfluss von außen entwickelt. Ein Computer hingegen wäre gänzlich
hilflos ohne Input vorgegebener Regeln.

Um die Gebärdensprache zu dekodieren, führten Kegl und ihre Kollegen
den Schülern einen tschechischen Zeichentrickfilm vor. Eine der
Sequenzen zeigt den Schelm Koumal, wie er aus gestohlenen Hühnerfedern
Flügel baut. Als er mit diesem Fluggerät in den Bergen abstürzt, klebt
er die Trümmer zu Indianerschmuck zusammen, den er bei Kindern gegen
Eier eintauscht.

Die Schüler sollten die Geschichte vor laufender Videokamera
nacherzählen. Fasziniert stellten die Linguisten fest, dass sich ihnen
dabei die verschiedenen Stufen der Sprachentwicklung offenbarten. Denn
abhängig vom Zeitpunkt der Einschulung sprachen die Gehörlosen mit
unterschiedlicher Perfektion.

Ganz bei Null hatte freilich auch ihre Sprache nicht begonnen. Das
Rohmaterial fanden sie vor: in Nicaragua übliche Gesten für Essen und
Trinken, pantomimische Elemente und individuelle Gebärden, die
Gehörlose aus dem Kreis ihrer Familien mitbrachten.

Judy Kegl in der Gebärdensprache heißt sie "Weiße Haut, Brille"
vergleicht den Anfang der Sprache mit einer Baustelle: "Viele Gebärden
lagen ungenutzt wie Steine umher. Die Kinder sammelten sie auf und
bauten daraus ein Haus."

Die ersten tauben Kinder, die Anfang der achtziger Jahre in Managua
Sonderschulen besuchten, nutzten eine Sprache, die improvisiert und
arm an Regeln war. Trotzdem konstruierten sie ihre Sätze nicht
willkürlich. Nomen und Verben wechselten sich regelmäßig ab. "Herr
Koumal reicht einem Kind seinen Federschmuck" etwa liest sich, Geste
für Geste übertragen, so: "Federschmuck Hält Mann Gibt Kind Erhält."

Schon die nachfolgenden Jahrgänge, die sich im Alter von fünf oder
sechs Jahren die Zeichensprache der Klassenälteren aneigneten, schufen
aus dem kantigen Provisorium eine ausgefeilte Sprache. Nicht nur
fügten sie dem Gebärden-Vokabular tausende neuer Zeichen hinzu, sie
statteten die Sprache auch mit grammatischer Struktur aus Fällen,
Zeiten, Klassifikationen.

Präpositionen zum Beispiel agieren wie Verben: "Über dem Stuhl hängt
ein Bild" lautet in Gebärden übersetzt "Stuhl Bild Über". Dieses
Phänomen ist aus der Sprache der Navajo-Indianer bekannt. Dem
Spanischen jedoch so redlich sich die Schulen anfangs auch bemüht
hatten, es den Kindern einzutrichtern ähnelt die neue Gebärdensprache
so sehr wie ein Apfel einem Ei.

Die Anhänger Chomskys begeistert die neue Gehörlosensprache nicht
allein, weil sie Hinweise auf den angeborenen Sprachinstinkt liefert.
Sie hilft vielleicht auch, zu erklären, wie Kreolsprachen entstanden,
in denen das sprachliche Erbe vieler Zungen verschmolzen ist.

Die meisten von ihnen entstanden im 17. Jahrhundert in den
Überseekolonien. Ureinwohner und eingeschiffte Sklaven vermengten ihre
Sprachen mit denen der Kolonialherren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
wiederholte sich der Prozess auf Hawaii, als dort Arbeiter aus
Portugal, Japan, Korea, von den Philippinen und Puerto Rico auf die
Zuckerrohrplantagen strömten.

In kurzer Zeit entstand eine Behelfssprache, ein so genanntes Pidgin,
in dem sich Satzfetzen mehr schlecht als recht aneinander reihten
ähnlich dem Frühstadium der Gebärdensprache in Managua.

In den siebziger Jahren dokumentierte der Linguist Derek Bickerton
dieses Pidgin. Die Nachkommen der Einwanderer, so entdeckte er,
nannten eine grammatisch reichhaltige Sprache ihr Eigen. Der
Wissenschaftler postulierte daraufhin, der Sprachinstinkt der Kinder
habe das Kauderwelsch der Eltern veredelt sie schufen sich ihre
Muttersprache. Doch Skeptiker überzeugte das nicht. "Schließlich",
merkt der an der University of California in Berkeley lehrende
Sprachforscher John McWhorter an, "war kein Wissenschaftler dabei, als
diese Sprache entstand. So bleiben nur Vermutungen."

In Managua zeigte sich nun, dass das Einzige, dessen es zur Schöpfung
einer Sprache offenbar bedarf, eine hinlänglich große Zahl von
Gesprächspartnern ist. Bei ihren Exkursionen in andere Landesteile
Nicaraguas fand Judy Kegl viele gehörlose Kinder, die nur mit Hilfe
rudimentärer Gesten kommunizierten: "Ein taubes Kind allein in einer
sonst hörenden Familie bleibt sprachlos."

Kinder, die so isoliert aufwachsen, gibt es weltweit. Die
Psychologinnen Susan Goldin-Meadow und Carolyn Mylander von der
University of Chicago berichteten im vorletzten Jahr von tauben
Kindern, die mit ihren Eltern eine Art Protosprache entwickelt hätten.

Kegl zeigt sich davon wenig beeindruckt: "Um das wirklich eine Sprache
nennen zu können, müsste es eine vom Kontext unabhängige Grammatik
geben, mit eigenständigen Nomen, Verben, womöglich mit Adjektiven,
Präpositionen und Adverbien. All das fehlt." Die Linguistin glaubt
deshalb, erst eine größere Gruppe aktiviere den Sprachinstinkt, der
aus willkürlichen Zeichenketten echte Sätze zaubert.

Die rund tausend Personen zählende Taubstummengemeinde in Managua
gründete derweil eine Gesellschaft für Gehörlose. Taubstumme
unterrichten in zwei Schulen. Auf dem Lehrplan steht sogar eine
Gehörlosenschrift. Sie stammt von der früheren Ballett-Tänzerin
Valerie Sutton, entwickelt aus einer Notation, die sie einst als
Gedächtnisstütze für ihren Ballettunterricht nutzte. Als ein dänischer
Facharzt für Gehörschäden 1974 davon erfuhr, bat er die junge
Tänzerin, die Symbole zu einer Gebärdenschrift auszubauen.

Aus Händen, Mondgesichtern, Wellen und Pfeilen zusammengesetzt,
gleichen die Zeichen einem kryptischen Comic. "Statt komplexe
Bedeutungseinheiten zu repräsentieren, bildet die Schrift ein System,
das dem phonetischen Alphabet ähnelt", erklärt Judys Ehemann James
Shepard-Kegl, der an der Atlantikküste Nicaraguas eine Sommerschule
für Gehörlose betreut. Die Piktogramme stellen Handbewegungen,
Körperhaltung und mimische Details dar, aus denen sich komplexe
Gebärden zusammensetzen.

Nach der sechsjährigen Schulausbildung in Managua können die Schüler
in ihrer Sprache flüssig schreiben und lesen. Ein Wörterbuch hilft
ihnen, wo sie unsicher sind. Auf einem Regalbrett sammelt sich eine
kleine Bibliothek von Literatur. Zur Zeit übersetzt Shepard-Kegl eine
stark verschlankte Version von Melvilles Moby Dick.

HUBERTUS BREUER

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2595 Re: Article In Der Spiegel in Germany.... Valerie Sutton Fri  1/21/2000

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